Heinrich Krobbach und Bücher
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Lukas Rietzschel (Deutschland): Mit der Faust in die Welt schlagen

Verlag
Ullstein Berlin
Jahr
2018
Seiten
320
ISBN
3550050666
Genre
Roman
Land
Deutschland

Die Brüder Philipp und Tobias (der jüngere) sind nach der Wende geboren und wachsen in ihrem Heimatdorf Neschwitz (nördlich von Bautzen) auf. Um die Jahrtausendwende baut ihr Vater (umgeschulter Elektriker) ein eigenes Haus für die Familie. Doch die Auflösung der Familie steht bevor, als sich der Vater seiner früheren Freundin Kathrin zuwendet. Die Jungs kommen in die Schule, erleben dort die Langeweile des Unterrichts, das Leiden der Jüngeren unter den piesackenden Älteren sowie die Provokationen der noch älteren (meist arbeitslosen) Jugendlichen, die vor der Schule lungern. Nacheinander geraten Philipp und dann Tobias in diese Gruppe, deren wesentliche Beschäftigung aus Abhängen und Bier trinken besteht. Und die eine unverrückbare Erklärung für ihre hoffnungslose Misere hat: Schuld sind weltfremde Politiker (Volksverräter) und Asylanten, die das deutsche Vaterland überschwemmen. Der innere Druck, man müsse etwas tun, wächst und wächst.

Die Geschichte selbst ist nicht ungewöhnlich für eine Gegend, in der für frühere rassistische Ausschreitungen bekannte Städte wie Hoyerswerda ganz in der Nähe liegen. Was mich an diesem Roman fasziniert, ist die – fast beiläufig daherkommende – eindrückliche sprachliche Ausleuchtung der Szenerie und des Innenlebens der Protagonisten. Beispielsweise gleich zu Anfang über Neschwitz (knapp 3000 Einwohner): „Der Schornstein des Schamottewerkes war zu sehen. Eine Ziegelesse, die nicht mehr rauchte, seitdem die Mauer gefallen war. … Verrostete Überreste von Schienen. Die Erde war durch den Kaolinabbau von Mulden übersät und eingedellt. Neschwitz lag in dieser Landschaft wie ein Steg zwischen Tongruben und Steinbrüchen.“ „In der (an den Sportplatz) angrenzenden Gaststätte mit Kegelbahn saßen Leute hinter Spitzengardinen und tranken Bier.“ Das Highlight des Jahres ist das Hexenbrennen am 30. April. Ebenso die Stimmung der Menschen – kraftlos, trüb, verbittert, wütend. Natürlich gäbe es Alternativen – man könnte gehen, sich drehen. Aber die „Verhältnisse“ wirken wie ein zäher Strom, in dem man treibt, und der Horizont ist vernagelt. Verlassen von der Welt (selbst Ereignisse wie der 11. September in New York oder die Besetzung der Krim werden wahrgenommen wie von einem fernen Stern) will man hineinschlagen.

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