Heinrich Krobbach und Bücher
Heinrich Krobbach und Bücher


Marlene Streeruwitz (Österreich): Jessica 30

Verlag
Fischer Frankfurt
Jahr
2004
Seiten
255
ISBN
3100744276
Genre
Roman
Land
Österreich

Jessica, 30jährige Journalistin in Wien, hat ein heimliches Verhältnis mit Gerhard, Staatssekretär für Zukunftsfragen in der österreichischen Regierung. Von ihrer Chefredakteurin erhält sie den Auftrag, über eine sexuelle Affäre zwischen Gerhard und Mia (Ex-Wohngemeinschaftsfreundin von Jessica) zu recherchieren. Gerhard soll Mia zwei Tage ans Bett gefesselt liegen gelassen haben. Die Sache ist nicht recht beweisbar, allerdings stößt Jessica bei ihrer Recherche auf einen anderen Vorfall: Eine Sex-Orgie mit Prostituierten, an der Gerhard und andere Politiker teilnahmen, wurde aus der Parteikasse bezahlt. Jessica will diese Story an den Stern verkaufen. Soweit die Story. Die Handlung auf der ersten Erzählebene ist recht kurz: In Kapitel 1 joggt Jessica eine Stunde. In Kapitel 2 hat sie Sex mit Gerhard, der sie mit der Hand zur Vollendung des Oralverkehrs zwingt, während er mit seiner Frau telefoniert. In Kapitel 3 sitzt sie etwa 1 ½ Stunden im Flugzeug nach Hamburg. Wie die Geschichte ausgeht, erfahren wir nicht. Wenn auch Roman auf dem Klappentext steht, ähnelt die Struktur doch eher einer (längeren) Kurzgeschichte. Und da liegt die Qualität des Buches. Das Handlungsgefüge bietet genügend Stoff für Jessicas Reflexionen zu den orientierungslosen Geschlechtsidentitäten, sich auflösender Frauensolidarität, zum kulturellen und moralischen Zerfall von Politik und Medien. Eine Fülle von hochspannenden Fragen einer 30jährigen, wer ich bin, was ich sein will und wo ich stehen kann in der Gesellschaft. Und keine einzige Antwort - und das ist gut so! Sprachlich anstrengend und ein Genuss zugleich. Außer in wenigen kurzen Dialogen gibt es im ganzen Buch keinen Punkt, sondern nur Kommas. Im freien Gedankenfluss mit allen Exkursen und Assoziationen wirkt Jessica atemlos und getrieben - keine beruhigende Perspektive in Sicht. Und auch das ist gut so! Es wirft die Frage auf, ob es DAS sein sollte, was man gutes Leben (oder die Möglichkeit dazu) nennt.

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